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Mit Geduld und grünem Daumen

02.09.2022 / Sie hat einen grünen Daumen: Viola Ehrig. Mit ihrem Kollegen Steve Kossack sorgt sie dafür, dass auf dem Campus Berlin-Buch neben Wissenschaft und Innovationen auch Blumen und Bäume prächtig gedeihen. Damit schafft sie auch für die Beschäftigten des Max Delbrück Center eine schöne Arbeitsumgebung.

Herbst. Foto: David Ausserhofer
Herbst. Foto: David Ausserhofer

Wenn morgens um vier die Krähen zetern, dann weiß Viola Ehrig, dass der Waschbär nach Hause kommt. „Ich weiß noch nicht, wo er wohnt – aber seit kurzem haben wir einen hier“, sagt sie. Die Gärtnerin kümmert sich mit ihrem Kollegen Steve Kossack um die Grünanlagen auf dem Campus Berlin-Buch. Seit 2013 ist sie bei der Campus Berlin-Buch GmbH angestellt.

Im Sommer beginnt der Arbeitstag von Viola Ehrig und Steve Kossack morgens zwischen drei und vier Uhr: Zuerst verladen sie Schläuche, Schaufeln, Spaten, Rechen und allerlei andere Geräte und Werkzeuge auf die Ladefläche ihres Transporters, dann geht’s los. Beete und Bäume müssen sie in den frühen Morgenstunden wässern, weil der Wasserdruck tagsüber nicht reichen würde. Und an heißen Tagen würde die Feuchtigkeit sofort verdunsten. Bis alle Pflanzen versorgt sind, vergehen zwei bis drei Stunden. „Ein einziger Baum schluckt 120 Liter“, weiß Viola Ehrig.

Statt Friedhof grüne Stadtoase

er Campus im Herzen von Berlin-Buch erinnert mit seinen 32 Hektar an einen weitläufigen Park. Zwischen Forschungs- und Unternehmensgebäuden erstrecken sich von Bäumen und Blumen gesäumte Grünflächen, schlängeln sich Wege, steht hier und da eine Skulptur. Ein Ort der Wissenschaft, zugleich eine grüne Stadtoase. Einst sollte hier nach den Plänen des Landschaftsplaners Albert Brodersen – von 1910 bis 1924 städtischer Gartendirektor von Berlin – der „Städtische Zentralfriedhof Buch-Karow“ entstehen. Das Torhaus, ein Wirtschaftsgebäude – das heutige Gläserne Labor (Haus A13) – und eine Kapelle waren bereits errichtet, als sich herausstellte, dass der Grundwasserspiegel unter dem Gelände zu hoch war, um die Toten dort zur letzten Ruhe zu betten. Also eröffnete 1925 anstelle des Friedhofs eine Baumschule. An die Kapelle, die in den 1950-er Jahren dem heutigen Walter-Friedrich-Haus (Haus C27) weichen musste, erinnern zwei dorische Säulen; an die Baumschule der Campuswald und einzelne Bäume wie Robinien, Kanadische Helmlocktannen, Zedern oder Christusdorn, die in unseren Breiten eher selten wachsen. 

Viola Ehrig kennt jeden einzelnen von ihnen. Sie weiß, welche Bäume wann gefällt und welche neu gepflanzt worden sind. Wo die Rehe in den Nächten äsen. Sie kennt auch den Lieblingsort der zwei Stieglitz-Schwärme, die über den Campus streifen – der Splitthaufen zwischen Fahrradwerkstatt und Gärtnerei. An der Längsseite von Haus D23, einem Gebäude der Eckert & Ziegler AG, blüht eine große Distel. „Voriges Jahr stand sie auf der anderen Straßenseite“, sagt Ehrig und beschreibt mit ihrer Hand einen Bogen in der Luft. „Jetzt hat sie sich hierher ausgesät. Die lassen wir natürlich stehen.“ Die purpurroten Blütenpuschel sind Nahrungsquelle für Vögel und Insekten. Und Trockenheit macht einer Distel nichts aus.

Augen- und Bienenweide

Die stachelige Schönheit verkörpert damit in gewisser Weise die Anforderungen, die die Campus-Bepflanzung erfüllen soll. Nicht nur fürs Auge soll sie sein, sondern auch Lebensraum für Insekten und andere Tiere. Außerdem muss sie mit immer heißeren Sommern zurechtkommen. Vor dem Arnold-Graffi-Haus (Haus D85), dem Sitz der Campus Berlin-Buch GmbH, und dem Karl-Lohmann-Haus (Haus D82) haben Viola Ehrig und Steve Kossack Rabatten angelegt, die Augen- und Bienenweide zugleich sind. Taglilien blühen mit Phlox, Lavendel, Salbei, Sonnenhut und Stockrosen um die Wette, locken Hummeln, Bienen, Schwebfliegen und Schmetterlinge an. Es summt und brummt in der Luft. Ob auch Campusbienen dabei sind? Zwei Völker bewohnen die Bienenstöcke vor dem Gläsernen Labor. In den Ferien kommen Kinder zu den Bienentagen, bei denen sie viel über die Lebensweise der Insekten und ihre wichtige Rolle in der Natur erfahren und sogar ihren eigenen Honig schleudern können.

Auch vor dem Erwin-Negelein-Haus (Haus D79) ist der Tisch für Insekten reich gedeckt. Studierende der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde haben dort eine Wildblumenwiese angelegt. Walderdbeeren, wilde Möhre und Kornblumen wachsen neben gewöhnlichem Wirbeldost, Herzgespann, kleiner Bibernelle und großem Klappertopf. Die Samen stammen von der Wildsamen-Insel Temmen in der Schorfheide. Die Studierenden beobachten, welche Pflanzen sich wie verbreiten. Auf fünf Jahre ist das Wiesenprojekt angelegt, das wissenschaftlich ausgewertet werden soll. „Schönheit muss neu definiert werden“, sagt Claudia Lühr, Teamleiterin Liegenschaftsverwaltung. Abgezirkelte Rasenflächen und symmetrisch angelegte Rosenbeete gehören der Vergangenheit an. Ganz auf Rasen zu verzichten, geht allerdings auch nicht. Für Mitarbeiter*innen auf dem Campus bietet der Rasen idealen Platz zum Erholen und Entspannen. „Veranstaltungen wie Grillfeste oder auch die Mittagspausen brauchen gemähte Flächen“, betont Claudia Lühr. „Aber wir müssen uns gut überlegen, wo wir der Natur ihren Lauf lassen können und wo wir in sie eingreifen.“  

Ausgleich für gefällte Bäume

Im Campuswald beispielsweise ist zu DDR-Zeiten nicht viel passiert. Das klingt eigentlich, als sei es im Sinn der Natur. Aber: „Die Bäume stehen zu dicht“, sagt Viola Ehrig. Ein Erbe der früheren Baumschule. Weil es inzwischen im Frühjahr immer eher immer wärmer wird, treiben die Bäume früher aus, was sie letztendlich schwächt. Aufgrund des jahrzehntelangen Pflegerückstandes konnten sich außerdem Pilzkrankheiten und die Weißfäule ausbreiten. Zusätzlich machen Eichenprozessionsspinner den alten Eichen zu schaffen. „Da muss man auch mal den ein oder anderen Baum fällen“, sagt Viola Ehrig.

Um zu gewährleisten, dass die Motorsäge nicht vorschnell angesetzt wird, gibt es regelmäßige Rundgänge mit Mitarbeiter*innen des Umweltamtes Pankow. „Bei allen landschaftsplanerischen Fragestellungen arbeiten wir eng mit der Eberswalder Hochschule für nachhaltige Entwicklung und dem Umwelt- und Naturschutzamt Pankow zusammen“, sagt Dr. Christina Quensel, Geschäftsführerin der Campus Berlin-Buch GmbH. Bevor ein Baum gefällt wird, muss das Umweltamt Pankow zustimmen. Und für jeden umgeschlagenen Baum muss ein neuer gepflanzt werden.

„Wenn wir eine Fläche umgestalten wollen, stellen wir die Pläne in der Campus-Management-Beratung vor und stimmen sie mit Vertreter*innen aller Einrichtungen ab“, fährt Christina Quensel fort. Nachdem die Bäume am Gästehaus (Haus B54) altersschwach und sturzgefährdet waren, sprach sich die Runde dafür aus, dass an dieser Stelle ein Feuchtbiotop entstehen soll. Schon immer hat sich dort Regenwasser vom Dach des Gästehauses und von der Straße angesammelt. Die Kuhle wurde noch etwas stärker ausgeformt und mit Kieseln ausgelegt, damit das Wasser nicht so schnell im märkischen Sandboden versickert. Viola Ehrig und Steve Kossack haben den Tümpel mit Rohrkolben, Sumpfschwertlilien und Pfennigkraut bepflanzt und davor eine Wildblumenwiese angelegt, auf der jetzt Kirsch- und Birnenbäume sowie einige Rhododendren wachsen.

Geduld – die Tugend der Gärtnerin

Die Pappeln vor dem Max-Delbrück-Haus (Haus C32) mussten ebenfalls weichen, nachdem sie Totholz abgeworfen und ihre Wurzeln Kabelschächte und Rohrleitungen angegriffen hatten. Auch ihr Verlust soll ausgeglichen werden, vorzugsweise mit Bäumen, die auf der „Liste der Zukunftsbäume“ der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) stehen. Derzeit enthält sie 65 Baumarten, denen Trockenheit, Hitze, Frost oder Schädlinge wenig ausmachen. Die Trompetenbäume, die vor drei Jahren vor der Mensa gepflanzt wurden, stehen ebenso darauf wie Kupferfelsenbirnen, Amber- und Maulbeerbäume, die den BerlinBioCube (Neubau D95) säumen werden. Auch Tulpenbäume gehören zu den Zukunftsbäumen. Einer davon wächst jetzt in einer Gruppe mit drei Trompetenbäumen.. „In etwa zehn Jahren wird er eine dichte Krone voller tulpenförmiger Blüten tragen – der Wahnsinn!“, schwärmt Viola Ehrig. „Man muss halt ein bisschen Geduld haben.“

Geduld verlangt auch der Blauglockenbaum, der im Hof von Haus D9 wächst: Wenn er sechs bis zehn Jahre alt ist, betört er im Frühjahr mit violetten Blüten, die wie bei der Kastanie aufrecht an einer Dolde stehen und einen Duft verströmen, der an Vanille erinnert. Im Schutz der Gebäudemauern findet er ideale Wuchsbedingungen vor – „eigentlich ist ihm das Interkontinentalklima von Berlin ein bisschen zu kalt“, erklärt Ehrig, als würde sie über einen guten alten Bekannten reden. Tatsächlich kann sie zu allen Pflanzen etwas erzählen. Manchmal redet sie ihnen auch gut zu – und siehe da, sie gedeihen plötzlich prächtig.

Wildkräuter sind kein Unkraut

Am Kunstwerk vor dem Forschungsgebäude B88 hilft das leider nicht. Unter Kiefern sind dort schmale, von Metallstreifen eingefasste Beete angelegt, in denen Minze und Bergkümmel vor sich hin kümmern. Sie gehören zur Molekülskulptur der Künstlerin Ulrike Mohr vor Haus 89 des MDC. Das Modell stellt die Struktur von Carvon dar, Hauptbestandteil der ätherischen Öle von Kümmel und Pfefferminze. „Die Idee ist gut“, findet die Gärtnerin. „Leider haben Minze und Kümmel unter den Kiefern wenig Chancen.“ Zumal immer wieder Pflanzen aus den Beeten verschwinden. „Es gibt Leute, die graben sich was aus“, sagt sie und schüttelt verständnislos den Kopf.  

Welche Pflanzen sie am meisten mag? Viola Ehrig zuckt mit den Schultern. „Ich liebe das geordnete Chaos“, sagt sie. Auch unscheinbare Wildkräuter gefallen ihr. Zumal die so etwas wie die stillen Helden des Beetes sind. Sie helfen den Stauden beim Wachsen, indem sie ihnen Schatten spenden und den Boden länger feucht halten. Während ein Eichhörnchen über die Wiese vor Haus C84 hüpft, steuert Viola Ehrig auf die Gärtnerei zu. Die Planung für den nächsten Tag steht an. Der beginnt wieder im Morgengrauen. Kurz bevor die Rehe sich ins Unterholz zurückziehen.

Text: Jana Ehrhardt-Joswig 

 

Quelle: MDC
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